Von Kräutern und Blumen fürs Quartier
Mit einer vergleichbar ausgelassenen Stimmung wie im Berliner Prenzelberg hätte ich sonntags in Luzern niemals gerechnet. Relativ unspektakulär, im Vergleich zu den anderen lokalen Sehenswürdigkeiten, war mein Ziel an diesem Sonntagmorgen gewählt. Freudige empathische Menschen bevölkerten das Gartenareal neben dem Kapuzinerkloster, was sich in Gemüsebeete, Blumenrabatten, Reihen mit Obststräuchern, Wildwiesen, dem legendären Laubengang und den Apothekergarten gliedert. Sie zelebrierten gemeinschaftliche Teilhabe, voller Stolz und Freude wie sie sonst nur im Umfeld unklarer Besitzverhältnisse beobachtbar ist. Eifrig Gärntnernde begegneten sonntäglich geschmückten Spaziergängerinnen. Lerneifrige mit Blöcken bewaffnet beugten sich in Büsche. Ausgelassene Kinder staunten über die schattensuchenden Senioren. Das weite offene Gelände des Wesemliner Klostergartens wird augenscheinlich von seinen Besuchern und Nutzern als Beitrag zum Gemeinwohl begriffen.
Im Schatten der Laubengänge
Spalierobst schien die vergangenen Jahrzehnte völlig zu Unrecht aus der Mode gekommen zu sein. Weil Kapuzinermönche nicht allen Moden der Zeit nachhängen, haben wir ihnen die Existenz dieser so wunderbaren schattenspendenden, kühlenden, originellen und praktischen Apfelbaumpergola zu verdanken. Witzigerweise verleitet der Laubengang dazu, den gesamten Garten aus der ungewöhnlichen Perspektive eines Voyeurs zu betrachten. Während alles vom blendenden Sonnenlicht beleuchtet und in Szene gesetzt wird, kann der oder die Beobachtende völlig ungestört aus dem kühlen Schatten heraus das Treiben, Blühen oder einfach nur das Wachsen im Garten einsehen. Im rechten Winkel umschliesst der Laubengang die Beete und Rabatten der Gemeinschaftsgärten. Hinter ihm auf den Wiesen geht es wild zu. Insekten, wie Bienen und Schmetterlinge freut es. Manche vermuten dort ihren Lieblingsplatz. Leichte Kopfstösse verteilen beim Bummeln die herabhängenden Äpfel, wenn die lichte Höhe für Kleinwüchsige überschritten wird. Wie schön muss das zur Zeit der Obstbaumblüte sein?
Tell’s Mahnung im Garten
Da lag dann plötzlich der Apfel auf dem Tisch. Irgendwie schien er demonstrativ dort platziert. Vom Baum gefallen war er jedenfalls nicht. Ein Stilleben mitten im Garten, der reich an Motiven ist. Immer wieder verführt das Grün des Apfels auf der grauen Tischplatte zum Hinschauen. Nicht dem Apfel selbst sollte die Aufmerksamkeit gelten. Die am Baumstamm festgebundene grauschwarze Schiefertafel wäre leicht zu übersehen gewesen. Dabei enthielt ihre mit Kreide gemalte Aufschrift eine wichtige Botschaft. Obstbäume im Kapuzinergarten haben Paten. Eine schöne Idee mit tieferem Sinn. Bäume brauchen Paten, die sich um sie kümmern und helfen, wenn es sonst keiner kann oder will, falls sie Früchte tragen sollen.
Es fällt schwer, sich den Kapuzinergarten in seiner heutigen Form als einen Klausurgarten vorzustellen. Ruhig, sehr ruhig muss es wohl gewesen sein. Der Blick auf den Pilatus war sicherlich unverstellt, weil die angrenzenden Bäume noch nicht die jetzige Wuchshöhe hatten. Die Pergola mit den Apfelbäumen war schon immer da. Der Anblick des Gartens erinnerte die Betrachter wahrscheinlich stets an unerledigte und ausstehende Arbeiten, wenn sie auf die ausgedehnten Gemüsebeete schauten. Der von Bäumen und Sträuchern verborgene Pfad entlang der Mauer bot schon damals die Gelegenheit, sich aus dem Weg zu gehen. Wie schön, dass die Kapuziner von Wesemlin ihren Garten geöffnet haben. Er wurde zu einem Ort der Lebensfreude, der Kreativität, der Begegnungen und zur Besinnung verwandelt. Den gewählten Begriff Oase, trägt er zu Recht mitten im urbanen Umfeld Luzerns.
Heilkräuter aus dem Klostergarten
Der Gemeine Beifuss ist zwar eine wildwachsende Pflanze. Wer seine Stengel nicht sammeln mag, pflanzt ihn im Garten, falls er Platz für ihn hat. Bei fetten Speisen kann er als Würzkraut die Verdauung gut unterstützen.
Apothekergarten mit neuer Adresse
Die benachbarte Heilpraktikerschule unterrichtet im Freien am lebendigen Objekt, den Heilpflanzen und -kräutern des Apothekergartens. Auch wenn es nicht so aussieht. Er ist neu an diesem Standort. Der Luzerner Apothekerverein (LAV) suchte einen neuen Standort für seinen Heilpflanzengarten bzw. dessen Bewohner. Am alten angestammten Platz war es ihnen zu heiss und trocken geworden. Die neue Umgebung scheint den Kräutern und Pflanzen recht gut zu behagen. Oder liegt es an der guten Pflege? Nicht alle Kräuterlein und Pflänzchen fanden in ihm Platz, so dass sich bei einer spezifischen Suche der Weg durch den grossen Kapuzinergarten durchaus lohnt.
Frische Luft und Farben
Die fachkundige Beschilderung der Exemplare durch die Apothekerinnen und Apotheker stellt sicher, dass beim Sammeln auf jeden Fall sich des richtigen Krautes oder der Heilpflanze erinnert wird. Es ist ein bunter Garten. Zum Schauen und Betrachten lädt er ein. Er folgt keinem festgesetztem Muster und richtet sich an keine feste Zielgruppe. Die Pflanzen sollen miteinander harmonieren. Was bei Menschen manchmal schwierig ist, kann bei Pflanzen zur Herausforderung werden. Wenn es gelingt, ist es wie im Kapuzinergarten zu Wesemlin, ein sehenswertes farbenfrohes Garten-Idyll.
Info und Anreise:
Der Eingang zum Garten befindet sich direkt neben der Klosterkirche. Von der Luzerner Stadtmitte ist er fussläufig zu erreichen, wenn man die lange Treppe Hexenstiege hinaufsteigen mag.