Die unsichtbaren Gärten mitten im Lago di Orta
Es müssen zauberhaft schöne Gärten sein. Nicht einen von ihnen bekommt der normale Besucher der Klosterinsel San Giulio zu Gesicht. Hoch sind die Mauern und verschlossen die Türen. Ein mit Steinplatten belegter Weg führt einmal um die gesamte Insel. Blechschilder mit Botschaften aus dem klösterlichen Alltag baumeln über den Köpfen der Passanten. Die Fassen sind schön. Der Blick bleibt begierig. Wo gibt es das viele Grün und die bunten Blüten der Gärten, die vom Boot aus zu sehen waren? Das Geäst grosser Bäume versperrt den Blick zum Himmel. Sie spenden Schatten und zeugen vom Vorhandensein des Unsichtbaren.
Verborgene Gärten
Besucher der Insel stehen vor verschlossenen Türen. Entweder befinden sich die Villen in Privatbesitz, oder die Gebäude gehören zur Benediktiner-Abtei. In beiden Fällen schützt man sich vor neugierigen Blicken mit hochgezogenen Mauern und geschlossenen Toren. Um so sehnsüchtiger betrachtet das neugierige Auge jegliche Art frischen Grüns, das seit Jahrhunderten als Teil der ablegenen Insel wuchern darf und mit dezenten Schnitten korrigiert wird.
Stille, Sonne und Wind
Abgeschiedenheit und frische Luft, das garantiert San Giulio eine kleine Insel mitten im Lago di Ort gelegen. Die Kulisse ist traumhaft. Waldbestandene Berge umranden den See. An seinem Ufer ein kleiner bunter Ort, namens Orta San Giulio, schickt immer wieder kleine weisse Boote. Sie bringen Besucher mit. Die schauen sich staunend den knackigen Po in der Abteikirche an. Meistens drehen sie eine Runde auf dem Weg über die Insel. Nach gar nicht langer Zeit verschwinden sie wieder. Von der Anwesenheit der Nonnen haben sie sich überzeugt. Gesehen haben sie keine.
Ansichtssache und Motivsuche
Der eigentliche Klostergarten der Abtei liegt aus der Ferne gut sichtbar auf der höchsten Erhebung der Insel. So als wollten sie zeigen, dass sie etwas zu verbergen haben. Eine rote Laube mit einer Marienstatue auf dem Dach kennzeichnet den höchsten Punkt und die Mitte des Klostergartens. In unmittlebarer Nachbarschaft überragt die Abbazia Mater Ecclesiae wie ein Opernhaus alle anderen Gebäude auf der Insel. Beinahe toppt sie sogar den Turm der Abteikirche. Weithin sichtbar und dennoch uneinsehbar. Das ist der sagenhafte Reiz der Klosterinsel. Jeder verlässt das Boot, das ihn über den See getragen hat, als Entdecker. Zurück am Ufer, wissen die meisten nicht, was sie gesehen haben. Umwerfenden Ausblicke haben sie genossen. Das was sie sehen wollten, blieb ihnen verborgen. Sie bemerken es beim Blick zurück auf die in die Ferne entrückte Insel.
Helden und Heilige
Die Zeit scheint still zu stehen auf der Isola San Giulio. Sie ist nur 275 Meter lang und 140 Meter breit. Wie ein kleines Dorf würfeln sich die Häuser auf der Insel übereinander rund um die Benediktinerinnen Abtei Mater Ecclesiae. Die privaten Häuser mit ihren herrschaftlichen Gärten sind hauptsächlich im Sommer bewohnt. Auf San Giulio gibt es nur eine Strasse; keine Autos, Motorroller oder Fahrräder. Es gibt keinen, auf den man im Strassenverkehr schimpfen könnte. Dementsprechend gibt es keine Parkverbote und demnach auch keine Strafzettel. Von Schlangen und Drachen soll die Insel bereits im vierten Jahrhundert befreit worden sein. Die Arbeit soll dankenswerterweise ein Grieche mit dem Namen Giulio erledigt haben, der später auch heilig gesprochen wurde.
Ein unsichtbares Netzwerk
Kleine unscheinbare Brücken und mit Ranken zugewachsene Stege überspannen den Rundweg der Insel. Ab und zu huscht ein Schatten über die Köpfe der Besucher und kreuzt den Weg in luftiger Höhe. Ein ausgeklügeltes Netz mit Wegen und Brücken erlaubt den Nonnen ungesehen und ohne Kontakt mit Aussenstehenden innerhalb der Klausur sich quer über die ganze Insel zu bewegen. Mehr als ein hastiger Schatten verrät nichts über die Anwesenheit der Nonnen.
Zeitenlose Ferne
Klostergärten und Kräuter, die in ihnen angebaut werden gibt es auf der Klosterinsel San Giulio nicht zu sehen. Insgesamt sind die Chancen recht gering, Zugang oder Einblick zu den Gärten der schönen Insel im Lago di Orta zu erhalten. Wer sich auf den Weg übers Wasser macht, der hat sich für eine kleine entschleunigende Zeitreise entschieden. Ganz gleich welche Epoche interessant erscheint. Angekommen auf der Isola San Giulio fühlt sich die Zeit an, als würde sie langsamer verstreichen. Allerdings ändern sich eigentlich nur das Wolkenbild und der Sonnenstand.
Info und Anfahrt:
Nur wenige Minuten dauert die Überfahrt mit einem der eleganten weissen Motorboote im Pendelverkehr von Orta San Giulio aus.